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theuern, und machte nicht allen Mißdeutungen und Verdrehungen durch eine bündige Aufklärung über ihren Inhalt ein Ende? Ich denke mir, weil der eigentliche Inhalt (der ersten Abtheilung) ein Geheimniß war, das er nicht verrathen durfte die Liebesgeschichte Southampton's, des Freundes und Gönners.

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Ist es denn aber so verwunderlich, daß die wenigen Eingeweihten das Geheimniß der Sonette nicht der Nachwelt überlieferten? Daß sie nicht an die Literarhistoriker nach 250 Jahren dachten, dürfen wir ihnen nicht übel nehmen, und ebenso wenig, daß sie diese Tagesproducte nicht in's Archiv legten. Es wurde ihnen kaum die Wichtigkeit beigemessen, die sie für uns erlangt haben. Sonette waren so gewöhnlich machte keine? Sammelte endlich ein Enthusiast, ein Verehrer des Dichters, sei es nun Pembroke oder ein Anderer, die zerstreuten Blätter und übergab sie ohne Wissen des Verfassers einem Drucker, so war es selbstverständlich, daß er ihm das ihnen zu Grunde liegende Geheimniß, vorausgesetzt, daß er es selber kannte oder ein solches überhaupt vermuthete, schon des Dichters wegen nicht verrieth. Und daß so das Geheimniß mit den wenigen Wissenden begraben wurde, ist ein ganz natürlicher Vorgang. Ging doch der ganze Shakespeare in der Finsterniß des Puritanismus und der darauf hereinbrechenden Sündfluth der Restauration für ein Jahrhundert verloren, bis ihn ein Garrick seinem Vaterlande gleichsam wieder entdeckte. Wie aber erst die deutsche Aesthetik das Verständniß des großen Dichters uns und seinem Volke erschlossen, wie erst die neuere Zeit ihn sich zu eigen gemacht, so daß er vielmehr unser Dichter ist, als der seiner Zeit, so dürfen wir auch annehmen, daß wir seine Sonette mit unbefangeneren Augen ansehen und besser verstehen als seine Zeit, deren Producte in dieser Richtung wir heute kaum noch genießbar finden, während Shakespeare's Sonette uns ewig jung und unvergänglich schön erscheinen.

Brooke's episches und Shakespeare's dramatisches Gedicht von Romeo and Juliet.

Von

Nicolaus Delius.

Als Beiträge zu unserer Kenntniß der dramatischen Kunst Shake

speare's habe ich in diesem Jahrbuche bereits drei Abhandlungen geliefert, die in eingehender Analyse das Verhältniß dreier Shakespeare'scher Dramen zu ihren Quellen erläutern sollten: 'As You like It' (Jahrbuch 1871), 'Coriolanus' (Jahrbuch 1876) und 'Winter's Tale' (Jahrbuch 1880). Zu diesen früheren Beiträgen kommt nun ein vierter, der die weniger complicirte, aber darum nicht minder interessante, Frage behandelt, in welcher Weise unser Dichter den ihm vorliegenden Stoff zu seiner berühmten Jugend- und Liebes-Tragödie erfaßt und durchgeführt hat.

Zur allgemeinen Orientirung setze ich zunächst einen Passus aus der Einleitung zu Romeo and Juliet in meiner Shakespeareausgabe hierher, zugleich als vorläufige Erklärung, weshalb in der folgenden Abhandlung lediglich auf Brooke's Gedicht und nicht auf andere, wirkliche oder angebliche, Quellen Bezug genommen ist.

‘Als Quellen benutzte Shakespeare zwei Werke, die, obgleich in verschiedener Form abgefaßt, doch wiederum ihren Stoff einer gemeinsamen Quelle, einer italienischen Novelle des Bandello, entlehnt hatten: ein im Jahre 1562 erschienenes episches Gedicht von Arthur Brooke: The Tragicall Historye of Romeus and Juliet, written first in Italian by Bandell, and nowe in Englishe by Ar. Br., und eine Novelle in der von Shakespeare mehrfach benutzten Sammlung The Palace of Pleasure von Paynter: The goodly history of the true and constant love betweene Rhomeo and Julietta. Paynter verdankte diesen Stoff nicht unmittelbar

dem italienischen Original, sondern einer, auch von Brooke benutzten, französischen Bearbeitung in Boisteau's Histoires Tragiques. Der zweite Band des Palace of Pleasure erschien im Jahre 1567 und die 25. Novelle desselben hat folgende Ueberschrift: The goodly hystory of the true and constant love betweene Rhomeo and Julietta, the one of whom died of poyson, and the other of sorrow, and hevinesse: wherein be comprysed many adventures of love and other devises touchinge the same. Shakespeare hat sich näher dem Gedicht A. Brooke's angeschlossen, als der Novelle Paynter's, obwohl kein Zweifel sein kann, daß auch diese ihm vorlag. -Schon das von Brooke vorangeschickte Argument zeigt in Umrissen, wie genau Shakespeare seinem epischen Vorgänger gefolgt ist. Es lautet folgendermaßen:

Love hath inflamed twayne by sodayn sight,
And both do graunt the thing that both desyre;
They wed in shrift by counsell of a frier;
Yong Romeus clymes fayre Juliets bower by night.
Three monthes he doth enioy his cheefe delight:

By Tybalt's rage, provoked unto yre,

He payeth death to Tybalt for his hyre.

A banisht man, he scapes by secret flight:

New mariage is offred to his wyfe:

She drinkes a drinke that seemes to reve her breath;

They bury her, that sleping yet hath lyfe.

Her husband heares the tydinges of her death;

He drinkes his bane; and she, with Romeus knyfe,
When she awakes, her selfe (alas) she sleath.

Diese versificirte Inhaltsanzeige des Brooke'schen Gedichtes kann auch als Inhaltsanzeige des Shakespeare'schen Dramas gelten. Ein kurz zusammengefaßtes Scenarium des letzteren würde kaum anders lauten können. Zwar hat unser Dichter, wie sich im Verlaufe der Analyse herausstellen wird, einige Personen hinzugefügt, die bei Brooke nicht vorkommen, und dieselben in die dramatische Handlung eingreifen lassen, aber an dem Gange der Handlung, wie er ihn von Brooke vorgezeichnet fand, hat er doch Nichts ändern mögen, vielmehr denselben von Anfang bis zu Ende treu innegehalten, abgesehen von einigen Umstellungen, die er im Interesse der dramatischen Folgerichtigkeit für nöthig erachtete. Die hier von unserem Dichter befolgte Methode eines unbedingten Anschlusses an seine Quelle steht nun in der Shakespeare'schen Dramatik als ein ganz vereinzelter Fall da. In allen übrigen Fällen hat er, bei aller scheinbaren Anlehnung an den jeweilig vorliegenden novellistischen oder historischen Stoff und bei aller sorgfältigen Verwerthung der Einzelnheiten desselben, im Wesentlichen doch seinen eigenen Weg einge

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schlagen und sich manche tief eindringende Aenderungen und Abweichungen erlaubt. Als Belege zu dieser Behauptung dürfen wir auf die vorher erwähnten drei Abhandlungen des Jahrbuchs verweisen.

Den Grund dieser exceptionellen Stellung Shakespeare's zu seiner Quelle in Romeo and Juliet suchen wir in seinem jugendlichen Alter zur Zeit der Abfassung seines Dramas. Wenn wir den Titus Andronicus abrechnen, der uns den jungen noch unselbständig in die Fußtapfen seiner Vorgänger und Rivalen tretenden Dichter zeigt, so war Romeo and Juliet sein erster selbständiger Versuch auf dem Gebiete der Tragik, die erste Offenbarung gleichsam seines dramatischen Genius. Wohl mochte er da bei seinem neuen Wagniß, dessen Erfolg ihm noch unsicher scheinen konnte, sich nach einer Stütze und einem Halt umsehen in dem engen Anschluß an ein Werk, das sich längst bei den Zeitgenossen einer großen Autorität erfreute. Und daß diese Autorität des Brooke'schen Gedichtes auch in Shakespeare's Augen eine vollgültige war, das wird nicht bloß durch die Identität des Scenariums in beiden Behandlungen desselben Stoffes bezeugt, sondern auch durch die so reichliche Anwendung Brooke'scher Tropen, Phrasen, ganzer Sätze und einzelner prägnanter Wörter, die uns überall in dem Drama begegnen. Shakespeare muß, das erkennen wir deutlich, das Brooke'sche Gedicht mit Liebe und Sorgfalt zum Gegenstande eines eingehenden Studiums gemacht haben, ehe er seine Tragödie entwarf. Auf diese theilweise wörtliche Uebereinstimmung beider Dichter ist in den größeren Shakespeare-Ausgaben sowohl durch Citate längerer Parallelstellen, wie durch Anführung kürzerer Redewendungen so oft hingewiesen worden, daß ich mir eine Wiederholung solcher Anführungen füglich ersparen darf in einer Abhandlung, welche das Verhältniß des Dramas zum Gedicht nach anderen Seiten hin zu beleuchten hat. Hier handelt es sich darum nachzuweisen, wie Shakespeare trotz dieses engen Anschlusses an seine Vorlage doch seine völlige Selbständigkeit da gewahrt hat, wo sie erforderlich war, da nämlich, wo es galt, aus einem epischen Gedicht voll ermüdender Weitschweifigkeit und pedantischer Lehrhaftigkeit ein regelrechtes Drama voll lebendiger Handlung und packender Darstellung, voll Glut der Leidenschaft und voll scharfer Charakteristik der Personen herzustellen. Zu diesem Zwecke hatte der Dramatiker zunächst einen ganz anderen Ton im weitesten Wortsinne anzuschlagen als sein epischer Vorgänger. Aeußerlich betrachtet mußten Brooke's paarweise gereimte, abwechselnd sechs- und siebenfüßige Langzeilen vertauscht werden mit dem Blankvers, der den Reim nur an Scenenabschlüssen und an einigen lyrisch gehobenen Stellen zuließ. Aber auch der Erzählungsform seines Vorgängers hat Shakespeare sich vollständig entäußert, bis auf wenige Partien, wo der Fall einer Bericht

erstattung darauf hinführte. Solche sind z. B. (A. 3, Sc. 1) Benvolio's Rechenschaftsbericht über die blutigen Händel, die soeben vor den Augen der Zuschauer vor sich gegangen waren, und das Bekenntniß des Mönches zum Schluß des Dramas, eine Recapitulation aller Ereignisse, die sich in den fünf Akten abgespielt hatten. Wir dürfen wohl annehmen, daß Shakespeare bei reiferer Kunstvollendung diese lästigen Wiederholungen des Geschehenen zu vermeiden gewußt hätte.

Wie unser Dichter den bei Brooke häufig sehr schleppenden, durch lange moralisirende Excurse unterbrochenen, Gang der Handlung zu beschleunigen und die Fäden desselben enger zu verknüpfen verstanden hat, das wird am deutlichsten aus der nachfolgenden vergleichenden Analyse erhellen. Hier mag nur noch auf die Vertiefung der Charaktere als der entsprechenden Träger der Handlung hingewiesen werden, oder um es richtiger zu bezeichnen, auf die Neuschöpfung der Charaktere von Seiten unseres Dichters. Sein Vorgänger hatte ihm in dieser Beziehung wenig oder gar nicht vorgearbeitet. Zwar gefällt sich Brooke in einer möglichst detaillirten Ausmalung der jedesmaligen Situation und in der Ausstattung seiner Personen mit ausführlichen Reden. Aber mit der ersteren hat er eben so wenig für den Leser die augenfällige Anschaulichkeit der Scenen erreicht, die Shakespeare zu schaffen, wie mit den letzteren die Charakteristik gefördert, die unser Dichter selbständig zu begründen hatte. Brooke's Gestalten sind bei aller breiten Geschwätzigkeit, an der sie laboriren, bloße Marionetten, die erst Shakespeare in lebende Wesen von Fleisch und Blut zu verwandeln hatte. So wenig in Brooke's Gedicht, bei allen sichtlichen Bemühungen zu rühren und zu erschüttern, ein tragisches Pathos zu Tage tritt, so wenig gelingt ihm andererseits der schwache Anlauf zum Humor, den er gelegentlich versucht. Die frivole Lüsternheit der Amme, als Trägerin der niedern Komik, wirkt da, wo sie sporadisch bei Brooke sich zur Unzeit hervorwagt, eher abstoßend als belustigend, und von dem höhern Humor, dessen Repräsentant Shakespeare's Mercutio ist, findet sich bei Brooke ohnehin keine Spur. Auf das Gebiet der feinen, scherzhaft witzigen, höfischen Conversationssprache, von der unser Dichter in dem Verkehre Romeo's und seiner Freunde einen so reichlichen Gebrauch macht, hat sich Brooke nie begeben, und die Wortspiele und Antithesen, mit denen Shakespeare fast unterschiedlos alle Partien seines Dramas, die tragischen wie die komischen, ausstattet, finden in Brooke's trockener pedantischer Redeweise nirgendwo ihr Vorbild. Wenn in dem ersten Akte des Shakespeare'schen Dramas stellenweise die Lyrik zur Beeinträchtigung der Dramatik zu stark vorklingt, so ist das lediglich eine Eigenart unseres jugendlichen Dichters, und in keiner Weise dem Brooke'schen Gedichte

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