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lassene Kranké ist; wo er Hoffnung hat, nun bald die trostlose Eindde zu verlaffen und wieder in sein Reich zu gelangen; wo sich also fein ganzes Unglück auf die schmerzliche Wunde einschränkt. Er wimmert, er schreyt, er bekommt die gråßlichsten Zuckungen. Hierwider geht eigentlich der Einwurf des beleidigten Anstandes. Es ist ein Engländer, welcher diesen Einwurf macht; ein Mann also, bey welchem man nicht leicht eine falsche Delikatesse argwohnen darf. Wie schon berührt, so giebt er ihm auch einen sehr guten Grund. Nüle Empfindungen und Leidenschaften, sagt er, mit welchen andere nur sehr wes nig sympathisiren können, werdeu anstößig, wenn man fie zu heftig ausdrückt *). „Aus diesem Grunde ist nichts , unanständiger, und eines Mannes unwürdiger, als wenn ,, er den Schmerz, auch den allerheftigsten, nicht mit Ge „duld ertragen kann, sondern weint und schreyt. Zwar ,, giebt es eine Sympathie mit dem körperlichen Schmerze. „Wenn wir sehen, daß jemand einen Schlag auf den

Arm oder das Schienbein bekommen soll, so fahren „wir natürlicher Weise zusammen, und ziehen unsern eiz ,,genen Arm, oder Schienbein, zurück; und wenn der ,,Schlag wirklich geschieht, so empfinden wir ihn faft » eben so lebhaft, als der, den er getroffen. Gleichwohl „, aber ist es gewiß, daß das Uebel, welches wir fühlen, ,,gar nicht beträchtlich ist; wenn der Geschlagene daher. ,, ein heftiges Geschrey erregt, so ermangeln wir nicht,

*) Adam Smith, in seiner Theorie der moralischen Ems pfindungen, 2. Absch. 1. Kap.

́„ ihn zu verachten, weil wir in der Verfassung nicht sind.. ,,eben so heftig schreven zu können, als er." Nichts ift betrüglicher, als allgemeine Gesetze für unsere Empfin= dungen. Ihr Gewebe ist so fein und verwickelt, daß es auch der behutsamsten Spekulation kaum möglich ist, einen einzelnen Faden rein aufzufassen und durch alle Kreuzfåden zu verfolgen. Gelingt es ihr aber auch schon, was für Nußen hat es? Es giebt in der Natur keine einzelne reine Empfindung; mit einer jeden ents stehen tausend andere zugleich, deren geringste die Grundempfindung gänzlich verändert, so daß Ausnahmen über Ausnahmen erwachsen, die das vermeintlich ́allgemeine Gesetz endlich selbst auf eine bloße Erfahrung in wenig einzelnen Fållen einschränken. Wir verachten denjenigen, sagt der Engländer, den wir unter körpers lichen Schmerzen heftig schreyen hören. Aber nicht immer: nicht zum erstenmal; nicht, wenn wir sehen, daß der Leidende alles mögliche anwendet, seinen Schmerz zu verbeißen; nicht, wenn wir ihn sonst als einen Mann von Standhaftigkeit kennen; noch weniger, wenn wir ihn selbst unter dem Leiden Proben von seiner Standhaftigkeit ablegen sehen, wenn wir sehen, daß ihn der Schmerz zwar zum Schreyen, aber auch zu weiter nichts zwingen kann, daß er sich lieber der långern Forts dauer dieses Schmerzes unterwirft, als das geringste in seiner Denkungsart, in seinen Entschlüssen åndert, ob er schon in dieser Veränderung die gänzliche Endschaft seines Schmerzes hoffen darf. Das alles findet sich bey

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dem Philoktet. Die moralische Größe bestand bey den alten Griechen in einer eben so unveränderlichen Liebe. gegen seine Freunde, als unwandelbarem Haffe gegen seine Feinde. Diese Größe behält Philoktet bey allen feinen Martern. Sein Schmerz hat seine Augen nicht so vertrocknet, daß sie ihm keine Thrånen über das Schicks fal seiner alten Freunde gewähren könnten. Sein Schmerz hat ihn so mürbe nicht gemacht, daß er, um ihn los zu werden, seinen Feinden vergeben, und sich gern zu allen ihren eigennützigen Absichten brauchen laffen möchte. Und diesen Felsen von einem Manne hätten die Athenienser verachten sollen, weil die Wellen, die ihn nicht erschüttern können, ihn wenigstens ers tönen machen? — Ich bekenne, daß ich an der Phis losophie des Cicero überhaupt wenig Geschmack finde; am allerwenigsten aber an der, die er in dem zweiten Buche seiner Luskulanischen Fragen über die Erbuldung des körperlichen Schmerzes auskramet. Man sollte glaus ben, er wolle einen Gladiator abrichten, so sehr eifert er wider den äußerlichen Ausdruck des Schmerzes. In diesem scheinet er allein die Ungeduld zu finden, ohne zu überlegen, daß er oft nichts weniger als freiwillig ist, die wahre Tapferkeit aber sich nur in freiwilligen: Handlungen zeigen kann. Er hört bey dem Sophokles den Philoktet. nur klagen und schreyen, und übersicht sein übriges standhaftes Betragen gänglich. Wo häste er auch sonst die Gelegenheit zu seinem rhetorischen Ausfalle wider die Dichter hergenommen?,,Sie sollen uns

weichlich machen, weil sie die tapfersten Månner kla=" „gend einführen.”. Sie müssen sie klagen lassen; denn ein Theater ist reine Arena. Dem verdammten ober feilen Fechter kam es zu, alles mit Anstand zu thun und zu leiden. Von ihm mußte kein klåglicher Laut gez hört, keine schmerzliche Zuckung erblickt werden. Denn da feine Wunden, sein Tod, die Zuschauer ergößen sollten: so mußte die Kunft alles Gefühl verbergen lehs ren. Die geringste Aeufferung deffelben håtte Mitleiden erweckt, und öfters #erregtes Mitleiden würde diesen frostig grausamen Schauspielen bald ein Ende gemacht haben. Was aber hier nicht erregt werden sollte, ist die einzige Absicht der tragischen Bühne, und fodert daher ein gerade entgegen gesetztes Betragen. Ihre Helden müssen Gefühl zeigen, müssen ihre Schmerzen äußern, und die bloße Natur in sich wirken laffen. Vera rathen fie Abrichtung und Zwang, so laffen fie unser Herz kalt, und Klopffechter im Cothurne können höcha stens nur bewundert werden. Diese Benennung vera dienen alle Personen der sogenannten Senecaschen Traz gödien, und ich bin der festen Meinung, daß die Glaz diatorischen Spiele die vornehmste Ursache gewesen, warz um die Römer in dem Tragischen noch so weit unter dem Mittelmäßigen geblieben sind. Die Zuschauer lernten in dem blutigen Amphitheater alle Natur verkennen, wo als lenfalls ein Kteftas seine Kunst studieren konnte, aber nimmermehr ein Sophokles. Das tragischste Genie, an diese künstliche Todesscenen gewdhnet, mußte auf Bomz

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baft und Robomontaden verfallen. Aber so wenig als folche Robomontaden wahren Heldenmuth einflößen können, eben so wenig können Philoktetische Klagen weichlich machen. Die Klagen find eines Menschen, aber die Handlungen eines Helden. Beyde machen den menschlichen Hels den, der weder weichlich noch verhärtet ist, sondern bald dieses bald jenes scheinet, so wie ihn ißt Natur, ißt Grunde fäße und Pflicht verlangen. Er ist das Höchste, was die Weisheit hervorbringen, und die Kunst nachahmen kann.

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4. Nicht genug, daß Sophokles feinen empfindlichen Philoktet vor der Verachtung gesichert hat; er hat auch allem andern weißlich vorgebauet, was man sonst aus der Anmerkung des Engländers wider ihn erinnern könnte. Denn verachten wir schon denjenigen nicht ims mer, der bey körperlichen Schmerzen schreyt, so ist doch dieses unwidersprechlich, daß wir nicht so viel Mitleis den für ihn empfinden, als dieses Geschren zu erfors dern scheint. Wie sollen sich also diejenigen verhalten, die mit dem schreyenden Philoktet zu thun haben? Sollen fie fich in einem hohen Grade gerührt stellen? Es ist wider die Natur. Sollen sie sich so kalt und verlegen bezeigen, als man wirklich bey dergleichen Fållen zu seyn pflegt? Das würde die widrigste Dissonang für den Zuschauer hervorbringen. Aber, wie gesagt, auch diesem hat Sophokles vorgebauet. Dadurch nehmlich, daß die Nebenpersonen ihr eigenes Intereffe haben; daß der Eindruck, welchen das Schreven des Phioftet auf sie macht, nicht das einzige ist, was sie beschäftigt,

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