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und der Zuschauer daher nicht sowohl auf die Disproportion ihres Mitleids mit diesem Geschrev, als vielmehr auf die Veränderung Acht giebt, die in ihren eigenen Gesinnuns gen und Anschlägen durch das Mitleid, es sen so schwach oder so stark es will, entsteht, oder entstehen sollte. Neoptolem und der Chor haben den unglücklichen Philoktet hintergangen; sie erkennen, in welche Verzweiflung ihn ihr Betrug stürzen werde; nun bekommt er seinen schrecklichen Zufall vor ihren Augen; kann dieser Zufall keine merkliche sympathetische Empfindung in ihnen erregen, so kann er sie doch antreiben, in sich zu gehen, gegen so viel Elend Achtung zu haben, und es durch Verråtherey nicht håufen zu wollen. Dieses erwartet der Zuschauer, und feine Erwartung findet sich von dem edelmüthigen Neops tolem nicht getäuscht. Philoktet, seiner Schmerzen Meis fter, würde den Neoptolem bey seiner Verstellung erhalten haben. Philoftet, den sein Schmerz aller Verstellung unz fähig macht, so höchst nöthig sie ihm auch scheint, damit seinen künftigen Reisegefährten das Versprechen, ihn mit fich zu nehmen, nicht zu bald gereue; Philoktet, der ganz Natur ist, bringt auch den Neoptolem zu seiner Natur wieder zurück. Diese Umkehr ist vortrefflich, und um so viel rührender, da fie von der bloßen Menschlichkeit bewirkt wird. Bey dem Franzosen haben wiederum die schönen Augen ihren Theil daran *).' Doch, ich will an diese Parodie nicht mehr denken. - Des nehmlichen Kunstgriffs,

*) Act. II. Sc. III. De mes deguifemens que penferoit Sophie? fagt der Sohn des Achilles.

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mit dem Mitleiden, welches das Geschren über körperliche Schmerzen hervorbringen follte, in den Umstehenden einen andern Affekt zu verbinden, hat sich Sophokles auch in den Trachinerinnen bedient. Der Schmerz des Herkules } ist kein ermattender Schmerz; er treibt ihn bis zur Raserey, in der er nach nichts als nach Rache schnaubt. Schon hatte er in dieser Wuth den Lichas ergriffen, und ihn an dem Felsen zerschmettert. Der Chor ist weiblich; um so viel natürlicher muß sich Furcht und Entsehen seiner bemeistern. Dieses, und die Erwartung, ob noch ein Gott dem Herkules zu Hülfe eilen, oder Herkules unter diesem Uebel erliegen werde, macht hier das eigentliche allgemeine Interesse, welches von dem Mitleiden nur eine geringe Schattirung erhålt. Sobald der Ausgang durch die Zusammenhaltung der Orakel entschieden ist, wird Her= kules ruhig, und die Bewunderung über seinen lehten Ents schluß tritt an die Stelle aller andern Empfindungen. Ueberhaupt aber muß man bey der Vergleichung des leis denden Herkules mit dem leidenden Philoktet nicht vergef= sen, daß jener ein Halbgott, und dieser nur ein Mensch ist. Der Mensch schåmt sich seiner Klagen nie; aber der Halbgott schämt sich, daß sein sterblicher Theil über den unsterblichen so viel vermocht habe, daß er wie ein Mådchen weinen und winseln müssen *). Wir Neuern glauben keine Halbgötter, aber der geringste Held soll bey uns wie ein Halbgott empfinden, und handeln.

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Ob der Schauspieler das Gefchren und die Verzuks kungen des Schmerzes bis zur Illusion bringen könne, will ich weder zu verneinen noch zu bejahen wagen. Wenn ich fånde, daß es unsere Schauspieler nicht könnten, so müßte ich erst wiffen, ob es auch ein Garrik nicht vermögend wåre; und wenn es auch diesem nicht gelånge, fo würde ich mir noch immer die Skåvopoeie und Deklamation der Alten in einer Vollkommenheit denken dürfen, von der wir heut zu Tage gar keinen Begriff haben.

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Es giebt Kenner des Alterthums, welche die Gruppe Laokoon zwar für ein Werk griechischer Meister, aber aus der Zeit der Kaiser halten, weil fie glauben, daß der Virgilische Laokoon, dabey zum Vorbilde gedient habe. Ich will vou den åltern Gelehrten, die dieser Meinung gewesen find, nur den Bartholomåus Marliani *), und von den neuern, den Montfaucon **) nennen. Sie fanden ohne Zweifel zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters eine so befondere Uebereinstimmung, daß es *) Topographiae Urbis Romae libr. IV. cap. 14. Et quanquam hi (Agefander et Polydorus et Athenodo. rus Rhodii) ex Virgilii defcriptione ftatuam hanc formaviffe videntur etc.

**) Suppl. aux Ant. Expliq. T. 1. p. 242. Il femble qu'Agefandre, Polydore et Athenodore, qui en furent les ouvriers, ayent travaillé comme à l'envie, pour laiffer un monument, qui repondoit à l'incomparable description qu'a fait Virgile de Laocoon etc.

ihnen unmöglich dûnkte, daß beyde von ungefähr auf eis nerley Umstände sollten gefallen seyn, die sich nichts we niger, als von selbst darbieten. Dabey setzten sie voraus, daß, wenn es auf die Ehre der Erfindung und des ersten Gedankens ankomme, die Wahrscheinlichkeit für den Dichter ungleich größer sey, als für den Künstler,

Nur scheinen sie vergessen zu haben, daß ein dritter Fall möglich sey. Denn vielleicht hat der Dichter eben so wenig den Künstler, als der Künstler den Dichter nachgeahmt, sondern beyde haben aus einerley älteren Quelle geschöpft. Nach dem Makrobius würde Pisander diese ål tere Quelle feyn können *). Denn als die Werke dieses griechischen Dichters noch vorhanden waren, war es schulfundig, pueris decantatum, daß der Römer die ganze Erz oberung und Zerstörung Iliums, fein ganzes zweytes Bud,

Saturnal. lib. V. cap. 2. Quae Virgilius traxit a Graecis, dicturumne me putetis quae vulgo notą funt? quod Theocritum fibi fecerit paftoralis operis autorem, ruralis Heliodum? et quod in ipfis Georgi cis, tempeftatis ferenitatisque figna de Arati Phaeno menis traxerit? vel quod everfionem Trojae, cum Si none fuo, et equo ligneo, caeterisque omnibus, quae librum fecundum faciunt, a Pisandrò pene ad verbum tranfcripferit? qui inter Graecos poetas eminet opere, quod a nuptiis Jovis et Junonis incipiens univerfas hiftorias, quae mediis omnibus faeculis usque ad aetatem iphus Pifandri contigerunt, in unam feriem coactas redegerit, et unum ex diverfis hiatibus temporum corpus effecerit? in quo opere inter historias caeteras interitus quoque Trojae in hunc modum relatus eft. Quae fideliter Maro interpretando, fabrica tus eft fibi Iliacae urbis ruinam. Sed et haec et talia ut pucris decantata praetereo.

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aus ihm nicht sowohl nachgeahmet, als treulich überseht habe. Wåre nun also Pisander auch in der Geschichte des Laokoon Virgils Vorgänger gewesen, so brauchten die griechischen Künstler ihre Anleitung nicht aus einem lateis nischen Dichter zu holen, und die Muthmaßung von ihrem Zeitalter gründet sich auf nichts.

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Indeß, wenn ich nothwendig die Meinung des Marliani und Montfaucon behaupten müßte, so würde ich ih= nen folgende Ausflucht leihen. Pisanders Gedichte sind verloren; wie die Geschichte des Laokoon von ihm erzählt worden, läßt sich mit Gewißheit nicht sagen; es ist aber wahrscheinlich, daß es mit eben den Umstånden geschehen sey, von welchen wir noch jetzt ben griechischen Schrifts stellern Spuren finden. Nun kommen aber diese mit der Erzählung Virgils im geringsten nicht überein, sondern der römische Dichter muß die griechische Tradition völlig nach seinem Gutdünken umgeschmolzen haben. Wie er das Unglück des Laokoon erzählt, so ist es seine eigene Erfindung; folglich, wenn die Künstler in ihrer Vorstels lung mit ihm harmoniren, so können sie nicht wohl anders als nach seiner Zeit gelebt, und nach seinem Vorbilde ges arbeitet haben.

Quintus Calaber läßt zwar den Laokoon einen gleis chen Verdacht, wie Virgil, wider das hölzerne Pferd¡bes zeigen; allein der Zorn der Minerva, welchen sich dieser dadurch zuzieht, äußert sich bey ihm ganz anders. Die Erde erbebt unter dem warnenden Trojaner; Schrecken und Angst überfallen ihn, ein brennender Schmerz tobt in sei

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