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Manacorda hat entschieden Unglück mit seinen Entdeckungen. In den Studien für vergl. Lit. Bd. VI, 228 ff. wollte er unbekannte Beziehungen des H. Sachs zur italienischen Literatur nachweisen, und ich hatte Anlafs, daselbst S. 338 ff. darzulegen, dafs er die einschlägige Literatur durchaus nicht kennt, und dafs wir längst über die betr. Quellen des Meisters, und zwar in ganz anderem Sinne, als er glaubt, unterrichtet sind.

Hier geht es ihm nicht besser. Zunächst ist es nicht wahr, dass ich etwas übersehen habe. In dem Aufsatz, auf den er sich bezieht, handelte ich über die noch unbekannten Quellen des Cluchtboek bzw. Recueil, d. h. über die direkten Vorlagen des Sammlers. Da ich diese für ca. 60 Schwänke festzustellen hatte, so kam es mir nicht in den Sinn, auch noch die Quellen der Quellen anzugeben. Von einem Übersehen kann sonach keine Rede sein.

Leider hat aber Manacorda verschiedenes übersehen, und zwar 1) dafs die Anekdote nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern bereits im Altertum, dann im Mittelalter und vom 16. Jahrhundert bis fast zur Neuzeit sehr verbreitet war; 2) dafs H. Knust im 177. Bande des Stuttg. Literar. Vereins S. 6 ff. schon 1886 eine sehr hübsche, wenn auch nicht erschöpfende Zusammenstellung über die Verbreitung des Geschichtchens gebracht und u. a. auch den Diogenes Laertius genannt hat; 3) dafs Diogenes Laertius weder der einzige noch der erste Autor des Altertums ist, der die Anekdote mitteilt, dafs sie vielmehr schon von Plato im Ocuitytos 174 erzählt worden, ferner von Antipater A. P. VII, 172, 7, von Babrius und anderen griechischen Dichtern, von Stobaios etc.; 4) dafs Diogenes sicherlich nicht die Vorlage von Guicciardini war, trotz der von Manacorda beigebrachten wörtlichen Annäherungen; denn diese sind in gleichem Grade bei noch vielen anderen Versionen zu finden; 5) dafs die italienischen Übersetzer des Diogenes Laertius nicht Rossettini, sondern nach der mir vorliegenden Übersetzung Rositini da Prat'Alboino heifsen; 6) dafs die Anekdote ebensosehr, wenn nicht noch mehr, durch W. Burleys Libellus de vita et moribus philosophorum als durch Diogenes Laertius in Europa verbreitet wurde; 7) dafs die Anekdote in zwei verschiedenen Formen zirkulierte: a) mit dem Namen des Thales verknüpft, und hierfür sind Plato, Diogenes, Stobaios, Walter Burley u. a. als Vertreter anzuführen, b) von einem anonymen Astrologen erzählt, was vielleicht auf Babrios und seine Nachahmer zurückgeht.

Bei der ersten Version ist die den Philosophen verhöhnende Person eine Dienerin, und zwar eine junge, schöne Thracierin bei Plato und eine anus domestica bei Diogenes, Burley und den meisten Nachahmern. Bei der zweiten Version ist es ein zufällig Vorübergehender (Babrios: παριών τις; Jambendichter τυχών δέ τις ὁδοιπόρος).

Guicciardini, der in seinen Hore di ricreatione auch sonst

Fabeln des Babrios nacherzählt, berichtet die Geschichte von einem anonymen Astrologen, die Verhöhnende ist aber des Astrologo eigene Frau. Er gehört sonach einer neuen Klasse von Erzählern an, solchen nämlich, welche Züge der beiden Versionen vereinigen. Ihm gehen darin schon andere voran, so z. B. Gilbertus Cognatus in seiner 1537 veröffentlichten Sylva Narrationum (Ausg. 1552 Genevae S. 96, Ausg. 1567 Basel S. 83).

Da ich einmal dabei bin, Versionen anzuführen, so erwähne ich, dafs die Anekdote besonders häufig in Facetien-, Apophthegmen- und Anekdotensammlungen vom 16. Jahrhundert an vorkommt. Aufser den schon oben genannten Versionen seien hier nur einige genannt, die mir gerade zur Hand sind und bei Knust fehlen.

Zur Version a): Carbone Lodovico Facexie Nr. 29 (ed. A. Salza, 1900, S. 27), Schedels Chronik, 1493 (lateinisch, Fol. 79a, deutsch, Fol. 63), Franck Seb. Chronik oder Zeytbuch, 1531, Fol. 14a, O. Luscinus Joci ac Sales No. 4, Gast Johannes Convivales sermones (Ausg. 1549, S. 285), Thales philosophus, O. Melander Jocor. atque serior. Liber, Nr. 56 De Thalete Astrologo et anu quadam ruftica (Gedicht des Joh. Silberborner), Lactantius bei Alciati Emblemata (Ausg. Patauij, 1621, 4o, S. 431).

Zur Version b): Camerarius Fabulae Aesopicae (1538), Astrologus et viator (Ausg. L., 1564, S. 158), Targa Pietro (Pavesi Cesare), Cento e cinquanto favole Ven. 1569, L'Astrologo S. 85.

In der Idee nahe verwandte und ebenfalls verbreitete Versionen sind die, worin der Astrolog oder Wahrsager die Zukunft verkündigt und nicht weifs, dafs es bei ihm brennt, oder dafs er bestohlen wird, oder dafs ihm seine Frau untreu ist.

Doch um wieder auf Guicciardini und Manacorda zurückzukommen, so will ich noch zeigen, dafs sich viele Versionen einander ähneln. So z. B.:

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W. Burley (alte ital. Übers.):

Diceli ancora che una nocte ellendo menato fuori di cafa da una uecchia barbara per confiderare el cielo, cafco in vna folla & dicendo la uecchia ... o Thales non ti uergogni tu volere confiderare el cielo, imperoche tu non poi difcernere in terra quello che te e inanzi alli piedi?

Brusonius Facetia:

Thales quum domo exiret infpiciendorum iderum causa, in fubiectam fcrobem incidille fertur. petulantique probro dictum ab anu domeltica: qua ratione, ô Thales, quae in cœlis funt comprefurum te arbitraris, qui ea quae funt ante oculos videre non uales.

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Mit diesen Texten vergleiche man die von Manacorda angeführten beiden, und man wird finden, dafs Diogenes ein besonderes Anrecht, die Vorlage zu sein, nicht hat.

München.

Zu Gil Vicente.

A. L. Stiefel.

Die Werke dieses Dichters harren immer noch einer neuen, den kritischen Anforderungen wirklich entsprechenden Ausgabe. Aber so wie die Werke, so bedürfen auch die Angaben über das Leben und Wirken des Dichters noch der kritischen Sichtung. So hat man z. B. bisher die Daten der Dramen ohne jede Prüfung hingenommen und darauf mitunter Schlüsse gebaut. Ich für meine Person habe mich diesen Zeitangaben gegenüber stets skeptisch verhalten und mich durch sie in meinen sonst gewonnenen Forschungsergebnissen nicht beirren lassen. Wie sehr ich im Rechte war, will ich heute an einem bestimmten Falle zeigen.

In meiner Arbeit über Lope de Rueda und das italienische Lustspiel' (Ztschr. f. rom. Phil. XV, 184–216, 318-343) hatte ich (S. 209) Gil Vicente, soweit bei ihm andere als iberische Dialekte vorkommen, als einen Nachahmer des Torres Naharro bezeichnet. In Gröbers Grundriss war mir von C. Michaëlis de Vasconcellos (II, 2, 285) entgegengehalten worden, dafs Gil Vicente 'seit 1510 radebrechende Franzosen, Italiener usw. vorführt ... selbst ehe Torres Naharro in seiner Serafina, Soldadesca und Tinelaria damit glänzte (vor 1517).

Diese Ansicht stützte sich offenbar darauf, dafs bei der Farça chamada Auto da Fama (Obras de Gil Vicente, Hamburg, Langhoff 1834, Bd. III, S. 43), in der ein Francez und ein Italiano schauerlich ihre eigene Sprache misshandeln, sich die Bemerkung findet:

A farça seguinte foi representada á mui catholica e Serenissima Rainha D. Leenor, e depois ao muito alto e poderoso Rei D. Manuel na cidade de Lisboa, em Santos o velho, na era do Senhor de 1510. Indessen finden sich im Stücke selber historische Anspielungen, welche diese Angabe, von wem sie auch herrühren mag, Lügen strafen. Es tritt in der Posse u. a. ein Spanier auf, der zur Fama sagt:

Bien sabeis, alta señora,
Las victorias de Castilla
Que tiene puesta la silla
Con la silla emperadora.

Das setzt die Abfassung des Stückes zunächst einmal um die Mitte des Jahres 1519, d. h. nach dem 28. Juni 1519, wo Karl die Krone Spaniens mit der römischen Kaiserwürde vereinigte. Die weiteren Worte des 'Castelhano':

Habeis oido

Que en nuestro tiempo ha vencido
Cuanto quizo sojuzgar:
Por tierra y por la mar
Es mui alto su partido.
Los campos Italianos
Las cercas Napolitanas
Y las naciones cristianas

Cuentan sus hechos Romanos.

deuten auf die Kriegstaten Karls V. hin. S. 50 erwähnt der Italiano in einer nicht ganz verständlichen Stelle Pavia, einen Namen, den Gil Vicente schwerlich vor 1525 kennen gelernt haben dürfte.

Mit der Entstehungszeit 1510 für das Stück ist es also nichts, die Unzuverlässigkeit der Daten ist wenigstens an einem Falle erwiesen, und da ein zweites Stück mit ausländischen Sprachen vor 1517 sich unter den Obras Gil Vicentes nicht findet, so sinken die gegen meine Behauptung geltend gemachten Gründe in nichts zu

sammen.

Übrigens sind bei zweien von den drei angeführten Stücken Naharros, bei der Soldadesca und bei der Tinelaria, ältere Drucke als der von 1517 nachgewiesen und ein solcher der Serafina mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Noch vor dem Erscheinen der Gesamtausgabe der Dramen des Gil Vicente von 1562 dürfte ein grofser Teil derselben in Einzelausgaben ans Licht gekommen sein. Den Beweis dafür liefert der spanische Index librorum prohibitorum des Grofsinquisitors Valdes von 1559. In diesem sind unter der Rubrik 'Libri vulgari sermone Lusitanico' die nachstehenden Stücke verzeichnet:

1) O auto de don Duardos (que no tiver censura como foy emendado y visto por mim).

2) O auto de Lusitania (con os diabos, sem elles poderse ha imprimir).

3) O auto de pedreanes (por causa das matinas).

4) O auto do jubileu d'amores.

5) O auto da aderencia do paço.

6) O auto da vida do paço.

7) O auto dos fisicos.

Von diesen befinden sich Nr. 1, 2 und 7 in den Obras Gil Vicentes, die fünf anderen nicht; allein ich glaube, dafs auch sie

Archiv f. n. Sprachen. CXIX.

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von ihm sind. Denn einmal ist nicht zu ersehen, wer sie sonst verfafst haben sollte, dann sind sie zwischen den anerkannten Dramen Gil Vicentes auf obiger Liste eingeschoben. Der Hauptgrund ist für mich aber, dafs Gil Vicentes Sohn Luis, der Herausgeber seiner Obras, sich darüber aufhält, dafs er nicht alle Stücke seines Vaters habe auftreiben können. Der Vernichtungseifer der Inquisition erklärt dann zur Genüge ihr Verschwinden.

In demselben Index ist unter der Rubrik 'Cathalogo de los libros en Romance que se prohiben' aufgeführt:

Auto hecho nuevamente por Gil Vicente sobre los muy altos y muy dulces amores de Amadis de Gaula con la princesa Oriana, hija del rey Lisuarte.

Der Umstand, dafs hier der Name des Verfassers angegeben wurde und bei den obigen sieben Stücken nicht, läfst den Schlufs zu, dass letztere anonym erschienen. Es ist dies nicht auffallend; es scheint öfters vorgekommen zu sein, dafs Stücke Gil Vicentes ohne seinen Namen herauskamen. So befindet sich z. B. in dem berühmten Sammelbande spanischer Dramen des 16. Jahrhunderts der Münchner Hof- und Staatsbibliothek eine spanische Bearbeitung von Gil Vicentes Auto da Barca do Inferno, die offenbar von ihm selbst herrührt, aber ohne seinen Namen gedruckt ist. 2

Schack sagte (Bd. I, 175) über Gil Vicentes Amadis de Gaula: 'Dieses ganz harmlose Stück wurde später, man begreift nicht, aus welchen Gründen, von der Inquisition verboten.' Es ist wahr, dafs der Amadis durchaus nichts enthält, was das Verbot rechtfertigen könnte; allein Schack vergafs, dafs, wenn das Drama auch nichts dem Santo Oficio Anstöfsiges in der Gestalt enthält, die es in der Ausgabe von 1562 zeigt, es eben kurz zuvor bereits der Zensur unterlegen und jedenfalls nur in kastrierter Gestalt aufgenommen worden war. Bestände hierüber noch ein Zweifel, so müsste er durch das im

'Die Herausgeber der modernen Ausgabe bemerken hierüber folgendes (Bd. I, p. XXXV): Que muitas obras de Gil Vicente se perdêrão, se vê do Prologo dirigido por seu filho Luis a D. Sebastião; onde diz: 'A este livro ajuntei as mais obras que faltavão, de que puede ter noticia. A respeito das obras meudas mais claramente o dixia elle no fim do Liv. V por estas palavras: Fim do quinto livro o qual rai muito carecido destas obras meudas, porque as mais das que o autor fez desta qualidade se perdêrão.' Obwohl mit den letzten Worten mehr auf die Obras varias gedeutet wird, so lassen die Worte des Prologo doch keinen Zweifel, dafs auch andere Obras, d. h. Dramen, verloren gingen.

2 Diese spanische 'Tragicomedia alegorica del Parayso y del Infierno' verdiente eine genaue Vergleichung mit dem portugiesischen Auto, von dem sie zahlreiche Abweichungen darbietet. Man gewinnt den Eindruck, dafs sie eine ältere Gestalt des Stückes als die in den Obras repräsentiert. Sie enthält Dinge, die, begreiflicherweise, der Inquisition Anlass zur Beanstandung bieten mufsten und daher in der Ausgabe der Obras wegfielen.

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