Imágenes de páginas
PDF
EPUB

des Bonapartismus betrifft, so dürfte dieser zum Theil wohl herrühren vom Hasse der Klerikalen und Feudalen, die er so scharf geisselte, vom Aerger der Republikaner, denen er unangenehme Wahrheiten nicht vorenthalten mochte, und vom Neide der Freunde, die ihre Bewunderung gern mit einem Tadel schattiren. Uneigennützig und bescheiden war Béranger immer. Ein politischer Parteimann von bestimmter Farbe war er niemals. Seine Dichternatur schillerte in vielen Nüancen. Hätte er 1792 und 1793 schon eine Rolle spielen können, so wäre er wahrscheinlich Girondist gewesen.

Katharsis und Gloire kultus.

Von

Friedrich Meyer.

Die viel discutirte Frage, aus welchen Ursachen der bekannte Unterschied der Corneille'schen Tragödie, die in der That nur heroisches Drama mit tragischem Anlaufe ist, von der ächten Tragödie, wie Aristoteles sie gefordert und Shakespeare sie gedichtet hat, im letzten Grunde herzuleiten sei, diese Frage, die nichts mit den drei Einheiten zu thun hat, sondern lediglich den höchsten Zweck, den innersten Sinn, das ethische Prinzip dieser und andrerseits jener Tragik ins Auge fasst, möchte ich in der folgenden Skizze nach einer ganz bestimmten Seite hin in Anregung bringen. Ich möchte nämlich die Frage aufwerfen, ob jener grosse Unterschied der Corneille'schen Tragik von der Aristotelischen seine Ursachen bloss in der geistigen Atmosphäre des siècle classique, in der Abhängigkeit vom Hofe u. s. w., kurz in blossen Zeitumständen habe, oder aber ob jene Verschiedenheit vielmehr aus einer stets wiederkehrenden Neigung, aus einem heut nicht minder, als zu Ludwig's Zeit, mächtig hervortretenden Zuge des französischen Nationalcharakters erklärt werden müsse? Letzteres scheint mir ganz entschieden der Fall zu sein. Das siècle classique hat lediglich die günstigen Umstände geboten, unter denen jene nationale Geistesrichtung sich künstlerischen Ausdruck, dramatische Gestaltung zu schaffen vermochte; es ist lediglich der geeignete Boden und die belebende Sonne für den längst bereit liegenden Keim gewesen. Als spezielles Eigenthum des Jahr

Archiv f. n. Sprachen. XLVII.

10

hunderts dürfen wir mithin nur gewisse Lokalfarben betrachten: die bei den Franzosen stets wiederkehrende Leidenschaft für politische und soziale Formen und Schablonen, die Uebermacht dieses Enthusiasmus über das natürliche und menschliche Gefühl, des Conventionellen über das Moralische, mussten im siebzehnten Jahrhundert natürlich in aristokratischer und monarchischer, vor Allem in streng höfischer Gestalt auftreten, während derselbe Fanatismus später vorzugsweise demokratische Form angenommen hat.

Das bezeichnete Thema ist jedenfalls äusserst zeitgemäss und hierdurch dürfte der Gegenstand vielleicht in ein neues, schärferes Licht treten. Wenn sich in der klassischen Tragödie der Franzosen nicht bloss etwas Zeitweiliges, Vergangenes und Vermodertes, sondern ein dauernder Zug des nationalen Charakters spiegelt, -wenn diese Dichtung also echt national ist. und wenn ja gerade in der tragischen Kunst eines Volks sich der Sinn und die Seele desselben im eminentesten Maasse ausspricht --so werden auch die furchtbaren Erscheinungen des gegenwärtigen Kampfes gewisse Züge gemeinsam haben mit dem tragischen Ideale, mit dem eigenthümlichen Heldenthum, das in jenen Dichtungen verherrlicht wird. Und in der That: wie vollkommen gleicht doch gegenwärtig in ihrem Verzweiflungsringen die französische Nation jenen ebenso tapfern, als reuelosen Helden der gloire, die das gewaltige Schicksal, das sie vollauf verschuldet haben und das nun über sie kommt, dennoch nur äusserlich, nicht aber moralisch zu brechen vermag! Es sind heldenmüthige Märtyrer, aber leider ist der Gott, für den sie sterben, nicht der der Gerechtigkeit, sondern der der gloire, nicht Jehova, sondern ein Götze, blutiger als der alte Moloch der Phönizier.

Eben diese Idololatrie der gloire trennt auch in seinem innersten Wesen das Corneille'sche Trauerspiel von demjenigen, das Aristoteles im Sinne hatte; sie hat Corneille verhindert, zu einer wahrhaften Tragödie zu gelangen. Denn bei ihm besteht der höchste, der herrschende Zweck der Tragödie darin, Bewunderung für den Helden zu erwecken, das aber muss nothwendig die Begriffe von Schuld und Sühne abschwä

chen und gerade die spezifische Wirkung der ächten Tragödie, jene Läuterung der Seele, die aus unserm tiefsten Erbeben vor der göttlichen Gerechtigkeit hervorgeht, ausschliessen.

Die antike Tragödie hat nicht den Glanz, sondern den Untergang ihres Helden zum Hauptgegenstande. Sie will nicht für diesen sterblichen Mann Bewunderung erregen, sondern die ewigen Gesetze des Himmels verherrlichen, die jede irdische Grösse niederwerfen; sie feiert gerade diese schauerliche Allmacht des Schicksals; sie kennt nichts Thörichteres und Todgeweihteres, als die Vermessenheit irdischer Grösse.

Aristoteles lässt in einem Satze, der bekanntlich zu endlosen Controversen Anlass gegeben hat, das Wesen der Tragödie darin bestehn, dass dieselbe durch Mitleid und Furcht die Läuterung eben dieser Empfindungen zu Stande bringe.

Bemerken wir zunächst, dass Mitleid und Furcht an sich selber nur Mittel sind und dass der eigentliche Zweck lediglich die schliessliche Läuterung ist.

Bis zu Lessing hat nun schon die Frage Schwierigkeit verursacht: für wen soll der Zuschauer fürchten? Es scheint sehr natürlich, anzunehmen: für den Helden. So versteht es Voltaire. Aber Lessing hat als die Meinung des Aristoteles nachgewiesen, dass die Furcht des Zuschauers auf ihn selbst gehn solle: für uns selbst sollen wir beim Anblick der Tragödie zittern das aber, was wir unsre Furcht für die Helden nennen, ist schon in dem Aristotelischen Begriffe des Mitleids mit enthalten.

Wir sollen aber nach Aristoteles für uns fürchten, weil wir im Schicksale des Helden eine göttliche Gerechtigkeit sich vollziehn sehn über eine Schuld, an der wir wenigstens ideell theilnehmen, nämlich durch unsre Sympathie mit dem Helden und gerade durch unsere Bewunderung für ihn. Je mächtiger unsre Sympathie uns mit dem tragischen Helden verbunden, uns im Gemüthe sozusagen mit ihm fortgerissen, moralisch mit ihm identifizirt hat um so tiefer erkennen wir unser tiefstes Selbst oder man kann auch sagen: die menschliche Natur überhaupt

eben derselben Sünde schuldig, der sich der Held schuldig gemacht hat.

Zu diesem Zwecke schreibt Aristoteles weiter ausdrücklich vor, dass der tragische Held nicht durchaus rein und schuldlos sein dürfe. Und gerade diese grosse, höchst bedeutsame Regel ist von Corneille nicht befolgt worden, denn vor Allem, sie stimmt ganz und gar nicht zu seinem Prinzip der Bewunderung. Corneille bringt vollkommene Ideale, schuldlose Helden, reine Heilige und Märtyrer auf seine tragische Bühne. Und wo er schon eine Verschuldung herbeiführen, durch die Verhältnisse unvermeidlich machen zu wollen scheint, da lässt er dennoch in der That diese Schuld selber keineswegs eintreten. Er zeigt nur von ferne die tragische Gefahr dann aber beeilt er sich, eine friedliche Lösung eintreten zu lassen. (Z. B. im Cid. Ganz natürlich! Denn Rodrigo ist ja ein vollkommenes Ideal!) So bekommen wir wohl Dramen mit einem tragischen Anlaufe, aber keine Tragödien.

Bei Aristoteles ist die Bewunderung keineswegs aus der Reihe der Triebfedern, die der Dichter in Bewegung setzen soll, ausgeschlossen, allein nur als dienendes Moment darf sie mitwirken, nur um unsre Sympathie mit dem Helden desto mächtiger zu erregen, darf unsre Bewunderung für ihn erweckt werden. Durchaus darf aber diese Bewunderung nicht der herrschende Zweck der ganzen Dichtung sein. Und das ist bei Corneille der Fall.

Hiernach kann es nicht überraschen, dass Corneille nicht weiss, was die von Aristoteles geforderte Läuterung der Mitleids- und Furchtempfindungen bedeuten soll. Er meint, dass die Tragödie durch Erweckung von Furcht und Mitleid diejenigen Leidenschaften in der Seele der Zuschauer läutern solle, unter deren Antriebe die tragischen Helden handeln, z. B. den Ehrgeiz. Das ist schon nach dem Buchstaben des Textes vollständig unrichtig. Nach Aristoteles sollen unsre Sympathie und unser Erbeben selber geläutert werden - wie kann das nun aber geschehn?

Nur dadurch, dass wir die Gerechtigkeit des grossen ge

« AnteriorContinuar »