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Sitzungen der Berliner Gesellschaft

für das

Studium der neueren Sprachen.

Sitzung vom 10. Januar 1871. Hr. Rauch sprach über die Schreibung von an und en im Französischen, worin durchaus Willkür und Inconsequenz herrscht. Als man im Mittelalter phonetisch schrieb, setzte man an auch wo die Etymologie en fordert. Schon im Rolandsliede reimt an mit en, ähnlich im Alexiusliede; ausnahmsweise reimt ien stets mit e, ausser in nient, welches mit a reimt. Ein System zeigt sich erst beim Aufkommen der gelehrten Orthographie: in Wörtern gelehrter Bildung behält man das etymologische en, in den volksthümlichen an; vgl. clairvoyant und évident. Als die Akademie die Schreibweise fixirte, hemmte sie nur die natürliche Entwicklung. Vernünftig ist der Vorschlag Paul Meyers, in allen Wörtern, die den Nasallaut enthalten, an zu schreiben.

Hr. Michaelis constatirte, dass schon vor längrer Zeit in einem bei Firmin Didot, dem Drucker der Académie, erschienenen Buche neben manchen andren auch ein diesem entsprechender Antrag gestellt sei.

Hr. Herrig bemerkte, dass bei der Oberflächlichkeit, mit welcher die Académie das Dictionnaire behandle, alle derartigen Vorschläge wenig Aussicht hätten.

Hr. Märker sprach über „, Göthesprüche in Prosa," zum ersten Male erläutert von G. von Loeper. Die von Göthe selbst mit Eckermann vereinbarte Eintheilung in „Natur Kunst Ethik" ist durchgeführt; der Inhalt ist oft älteren Schriftstellern entnommen; diese Quellen zu erforschen ist interessant und noch nicht überall gelungen. Weniges ist sententiös; die meisten sind, so zu sagen, Ueberschriften für grosse Untersuchungen oder Resultate von solchen; namentlich die ethischen sind von ungemeiner Tiefe; in der Abtheilung „Kunst" ist die ganze Göthe'sche Lehre niedergelegt: überall zeigt sich der tiefe

Archiv f. n. Sprachen. XLVII.

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Ernst, der stets sich bewusst ist, der Wahrheit zu dienen und ihr Ausdruck zu sein strebt. Der Vortr. theilt die Sprüche mit, die von Sprache überhaupt, von orientalischer, den classischen, der französischen Sprache handeln.

Hr. Bourgeois trug hierauf vor über die Dramatiker Colin d'Harleville, Andrieux und Picard, deren Comödien bei vieler Aehnlichkeit sich darin unterscheiden, dass die des ersten sich mehr durch glänzenden Geist, die des zweiten durch Wissen, die des dritten durch Menschenkenntniss und Erfahrung auszeichnen. Der Vortr. gab eine Analyse und las Scenen aus des ersten Comödie l'Inconstant und l'Optimiste, so wie von „Le Meuteur," dem besten Stücke von Andrieux.

Sitzung vom 24. Januar 1871. Im Anschluss an den Vortrag des Hrn. Märker vom 14. Jan. bringt Hr. Rudolph Stellen aus Lessing und der Bibel bei, um zu zeigen, dass die Wendung „gelten machen“ nicht gerade undeutsch sei.

H. Märker spricht über Göthe's Stellung zur deutschen Sprache. In der Sprache liegt der Charakter des Volks; das Charakteristische des deutschen Volks ist nach Göthe das Gemüth, und dies hinwieder der lebendige Quell der Gesinnung. Auf die deutsche Sprache haben in neuerer Zeit gewirkt die Naturforschung, die Politik und die Berührung mit fremden Sprachen. Schillers Sprache ist abstract, daher pathetisch, Göthe's naturwüchsig, volksthümlich; die deutsche Sprache, wie er sie vorfand, war rationalistisch, d. h. trocken; dem war Göthe entgegen, ebenso der Romantik und der falschen academischen Classicität. Daher ist Göthe's Sprache classisch und volksthümlich, plastisch, anschaulich, musikalisch. Göthe gründet seine Sprache auf die Sprache des Volks, er will ihr die Freiheit ohne Einfluss eines fremden Typus bewahren. Daher ist Göthe dem deutschen Unterricht zu Grunde zu

legen, nicht Schiller. Zum Belege theilt Hr. Märker einige Sprüche Göthe's mit und eine Stelle aus Hegels Aesthetik über Göthe's Sprache.

Hr. Marelle entgegnet, Göthe, als Botaniker ein Mann der Entwicklung, nicht des Fertig-Vorhandenen, sei beim Volksthümlichen dem Liede, und beim Bürgerlichen stehen geblieben. Schiller dagegen liebe das Heroische und Philosophische.

Hr. Rudolph wendet ein, dass auch Schiller das Volksthümliche darzustellen verstanden habe, z. B. in Cabale und Liebe, und will überhaupt nicht, dass Schüler einen Schriftsteller nachahmen sollen.

Hr. Hofmann erklärt sich gegen die Auslassungen des Vortragenden über das Academische.

Dem schliesst sich Hr. Scholle an und bestreitet, dass andere Völker, z. B. die Franzosen, die Hr. Märker besonders hervorhebt, weil ihnen ein entsprechendes Wort für Gemüth fehlt, deswegen auch des Gemüthes selbst ermangeln sollten. Hr. Zermelo, glaubt der Vor

tragende, habe nicht nachgewiesen, dass Schiller nicht ebenso gut Gemüth zeige wie Göthe, und dass abstract und philosophisch so viel wie pathetisch sei.

Hr. Bieling weist darauf hin, dass Schiller im Volke mehr Wurzel gefasst habe, als Göthe.

Hr. Märker erwidert auf diese Bemerkungen, er habe namentlich anregend wirken und auf den Quell der Sprache hinweisen wollen, und erläutert noch seine Ansicht vom Academischen.

Sitzung vom 14. Februar 1871. Hr. Bresslau sprach über Rechtsalterthümer aus dem Rolandsliede. I. Der König erscheint als Inhaber des ganzen Frankenreichs; die Franken sind noch nicht geschieden. Engere Beziehungen zwischen Kaiser und Papst fehlen. Hauptpflicht des Königs ist Wahrung des Friedens; daneben Schutz und Ausbreitung des Christenthums. Die Krone ist erblich, Wahlreich unbekannt; der zweite Sohn Charles neben Louis kommt nicht vor; Residenz ist Aachen; daneben die Burg in St. Denis. Das Reich ist sehr weit umfassend; Sicilien, Apulien, Ungarn, Constantinopel, England gehören dazu. Die dem Könige beigelegten Prädicate bezeichnen die Majestät seiner Erscheinung. II. Die Mannen stehen zum König im Treueverhältniss, begründet durch die commendatio; dadurch ist der König ihr seigneur; er ist ihnen zu Schutz und Beistand verbunden. Ihre Pflichten leisten sie 1) im Rath; a. in allgemeinen Reichstagen zu Aachen, wohin sie nach der vom Kaiser getroffenen Auswahl entboten werden; b. in der Versammlung der Barone; unter einer Fichte im Freien abgehalten. Ihrer Willensmeinung fügt sich wohl der König, doch ist ein Beschluss nur giltig, wenn der König sich ihn aneignet. Manchen Rathschlägen tritt er entgegen; dann schweigen Alle ehrfurchtsvoll; er entzieht auch das Wort ohne Widerspruch. 2) Sie leisten Heerfolge auf Kriegs- und Heerfahrten. Zunächst unter dem Kaiser steht der Oberfeldherr. Die Mannen sorgen nicht mehr für eigne Waffen und erhalten Sold, auch Antheil an der Beute; die Nachhut zu führen nimmt Roland ungern doch fügsam auf Befehl. Das höchste Feldzeichen ist die Oriflamme, das Feldgeschrei Montjoie. Den Feldherrn umgiebt eine Art Generalstab. 3) Sie übernehmen Botschaften und Gesandtschaften. III. Die Stände. Vor allen ragen die Barone hervor; aus ihnen werden die Anführer und Richter genommen; ihre Prädicate sind fast die des Königs. Es erscheinen Duces, Comptes, Vicomptes. Der Markgraf unter den Grafen ist primus inter pares. Sie bekleiden die Hofämter, wie Truchsess und Schatzmeister. Ferner die zwölf Pairs (obgleich 13 Namen erscheinen). Die servientes sind Diener der Kirche (die auch Straf- und Haftbefehle zu vollstrecken haben), Knappen der Ritter. Auch die grossen Barone haben ihre Mannen. IV. Die Sippe. Blutsverwandte müssen treu zu einander stehen; zu grosser Familie zu gehören ist Ehre und Vortheil; bes. bei peinlicher

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Anklage. Bürgen des Angeklagten haben beim Unterliegen desselben den Tod mit zu erleiden. Die Gattin ist paire des Mannes; gegen die unverheirathete Schwester hat der Bruder Vaterrecht. Ein der Verwandtschaft ähnliches Verhältniss kann durch Vertrag geschlossen werden. V. Das Strafrecht, nur an dem Falle mit Ganelon nachzuweisen. Nach der Anklage wird er zur Untersuchungshaft dem Küchenmeister überantwortet; auf ein schlechtes Pferd gesetzt, in Ketten nach Aachen gebracht. Er vertheidigt sich durch den Einwand, er habe offen Fehde angekündigt. Unter den Pairs wagt keiner ihn zu verurtheilen, bis einer das Wort nimmt und der Angeklagte sich erbietet, seine Sache mit dem Schwert zu vertreten; Pinabel, ein Verwandter Ganelon's, schilt das Urtheil; 30 Bürgen treten für G. ein, und da Pinabel unterliegt, müssen sie alle sterben; der Verräther wird geviertheilt.

Hr. Rauch macht auf das Werk,,Wort und Form im altfranz. Process" aufmerksam, welches Aehnliches behandle.

Hr. Schirmer weist an Beispielen nach, dass glève aus der Bed. Schwert in die grosser Spiess" (mit dem gestossen, nicht geworfen werde), dann mit dem Speer bewaffneter Reiter" übergegangen sei; so wie dass chemise und cheiuse, von Diez gleichgestellt, Verschiedenes bedeuten.

Hr. Bourgeois spricht im Anschluss an seinen Vortrag in der vorletzten Sitzung über Andrieux, aus dessen Meisterwerk „,l'Etourdi" und aus „Molière avec ses amis" er Scenen liest. Er geht dann auf Picard über, dessen Thätigkeit als Theaterdirector von wesentlichem Einfluss auf seine schriftstellerische Thätigkeit war; seine Stücke (namentlich les marionettes) geben ein vollständiges Bild der Zeit, in der Napoleons Stern zu steigen begann. Der Vorwurf der Trivialität trifft mehr das Publicum und seinen Geschmack als den Dichter.

Sitzung vom 28. Februar 1871. Hr. Bieling berichtet über eine Handschrift der Gregorlegende, die er unter einer Sammlung zur Vorlesung bei Mönchen bestimmter Heiligenlegenden ans der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Britischen Museum gefunden, und die den anglo-normannischen Dialect in grosser Reinheit enthält; mit der Handschrift von Tours stimmt sie zum Theil Zeile für Zeile, ganze Theile sind aber in ganz andrer Form vorhanden, so dass nicht bloss eine einfache Umarbeitung vorliegt, und man noch auf eine ursprüngliche Quelle schliessen muss, die der Bearbeitung Hartmann's zu Grunde liegt. Wichtig ist, dass sich hier zum ersten Male der Name des ursprünglichen Dichters genannt findet, nämlich Aubri, d. h. wahrscheinlich derselbe Alberich von Besançon, der bei Heise mit 150 Versen erscheint.

Hr. Giovanoly sprach über Alexandre Dumas. Nach Erwähnung seiner Jugendschicksale, seines Bildungsganges und der ersten Werke besprach er namentlich den von ihm gepflegten historischen Roman. Seine massenhaften Arbeiten belaufen sich auf über 300 Bde.,

die bei sehr verschiedenem, oft äusserst geringem Werthe, doch grosse Kraft der Phantasie, und Kunst, das Interesse zu spannen, namentlich aber den historischen Hintergrund zu zeichnen, beweisen. Zu bedauern ist es, dass er um der massenhaften Production willen sich nicht scheute, die Arbeit schlechter Mitarbeiter zu adoptiren. Vortr. ging dann auf die ästh. Betrachtung über den historischen Roman ein, den er von Francis Walpole's Castle of Otranto" an durch die verschiedenen Literaturen verfolgte, und dessen Erbleichen ein nothwendiger Ausfluss einer Zeitströmung gewesen sei. Vortr. ging dann auf D.'s Comödien und sein Impressions de voyage ein.

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Hr. Bandow besprach die attributiv gebrauchten Infinit. Praes. und Perf. im Englischen nach Substantiven, wie an asperity hardly to have been expected. Der active Gebrauch pleasant to see ist gleich häufig; besonders häufig erscheint er nach Superlativen und allgemeinen Pronominibus. Die Construction drückt das nun erwartete der Thatsache aus, wie he was the first to turn informer, zum Unterschied von who turned informer, welches dies geschehene Factum giebt. Dann mit der nachstehenden Präposition wie he had children to provide for; passivisch relations to be provided for. Der activische Inf. a house to let nimmt passive Bedeutung an. In dieser Weise wird der Ausdruck sehr bequem, namentlich da das Subject unbestimmt bleiben kann, wie he is a man to choose as a friend. Soll es erwähnt werden, so geschieht es mit for: a strange situation for me to be in; it would have been better for him to remain in bed. In Intensitätssätzen wie too dreadful a secret for her to reveal wird es dem Deutschen ähnlich. In Sätzen wie too considerate it was for Francisco to etc. ist also dies for nicht mit considerate zu verbinden, wo es in oder of heissen müsste. Der Vortr. vermuthet einen Zusammenhang mit dem in alten Sprachen erscheinenden Infin.,,for to."

Hr. Lücking protestirt gegen den Gebrauch des Ausdrucks ,,verkürzter Satz," womit ein historischer Prozess angedeutet werde, der in der That nicht vorhanden sei.

Hr. Märker wirft, im Hinblick auf die in moderner Zeit hervortretende Pflege provençalischer Dichtung die Frage auf, ob das Südfranzösische nicht geeignet wäre, ein neues Lebenselement in die französische Literatur zu bringen.

Hr. Marelle erwiedert, der Norden Frankreichs sei eher poetisch gewesen als der Süden; in ihm hätten die Trouvères geblüht; die Poesie der südlichen Troubadours sei keineswegs die schwung- und gemüthvollere. Das Erwecken des Provençalischen sei eine Liebhaberei Einzelner und Erscheinungen wie Klaus Groth oder Fritz Reuter zu vergleichen.

Hr. Rudolph weist darauf hin, wie die geographische Trennung des Landes in Frankreich sowohl wie in Deutschland durch Gebirge in kleinere Reviere der Entwicklung der Poesie günstiger sei.

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