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schen seinem gedrückten Herzen und dem Publikum dienen sollte, um so seiner Klage Ausdruck zu geben, da die Sonette zur Zeit der Abfassung des Hamlet noch nicht gedruckt, ja vielleicht noch nicht einmal geschrieben waren. In dem Charakter des Hamlet müssen wir also den Dichter selbst erblicken, schwermüthig, sinnig, witzig und beissend, weil mit der Welt zerfallen.

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Diese ganze Anlage zeigt denn Hamlet auch gleich bei dem ersten Auftreten dem Stiefvater und der Mutter gegenüber. Er trägt noch Trauerkleider um den gemordeten Vater, hat noch keine Ahnung, dass der Vater nicht eines natürlichen Todes gestorben, ist aber mehr als betrübt über die schnelle Heirath der Mutter mit einem Unwürdigen; ja, er nennt diese Heirath eine Blutschande, weil es in England einer Witwe nicht gestattet ist, den Bruder des verstorbenen Gatten zu heirathen. Hamlet ist von dieser einen Thatsache so ergriffen, dass ihm das Leben selbst verleidet, dass er auf Selbstmord sinnt, wenn nur nicht ein göttliches Gesetz ihn verböte. Dies ist die tiefe Melancholie, die der Dichter in Hamlet darstellt, die er von sich in den Sonetten ausspricht, namentlich auch da ausspricht, wo er an seine unglückliche Liebe denkt; aber, wie Shakspeare alle Gemüthsstimmungen mit übergrosser Dentlichkeit zeichnet, in energischen, derben Zügen darstellt, so auch hier. Die beissenden Sarkasmen, die Hamlet dem Könige zuwirft, kleidet er in Wortspiele, Shakspeare's Lieblingsform des Witzes, die in allen seinen Dramen unzähligemal wiederkehrt. Es lässt sich annehmen, dass diese Form des Witzes seinen Zuhörern am zugänglichsten, oder bei ihnen am meisten beliebt war.

Unser Dichter hat aber auch noch eine andere Seite, nämlich eine Fülle des Gemüths, die sich in so vielen Stellen seiner Werke ausspricht. Auch Hamlet's Charakter hat er reichlich damit ausgestattet. Seine unbegrenzte Verehrung des königlichen Vaters versetzt ihn bei der Kunde von seinem Tode in tiefe Trauer; die Nachricht von der Ermordung desselben bringt ihn ausser Fassung; zu seiner Mutter hatte er, vor ihrem Falle, eine echt kindliche Liebe, die auch nach ihrer Verheirathung mit Claudius mitunter zu Tage tritt und selbst durch die Bitterkeiten hindurchblickt, die ihm ihre Schamlosigkeit abpresst. Der Dichter zeichnet Hamlet als über sein Zeitalter hinaus gebildet und verfeinert. Daher ist ihm denn auch die Ausführung des Auftrages, den er vom Geiste erhalten, zuwider; es tritt ein Kampf in seiner Seele ein zwischen Pflicht und Neigung. Er gelobt dem Geiste, ihn zu rächen an dem Mörder, denn Blutrache war ja zu jener Zeit des Ritterthums eine hei

lige Pflicht des nächsten Erben; aber sein edleres Gefühl sträubt sich gegen die That. Das feurige Temperament lässt ihn das Gebot mit der ganzen Kraft des Entschlusses übernehmen; die Liebe und Hochachtung für den gemordeten Vater machen ihm die Verpflichtung zur Rache nur um so dringlicher; das Ge. heimnissvolle der Erscheinung des Geistes, wodurch ihm die grauenvolle Offenbarung geworden, stachelt Sinn und Geist des kernigen Jünglings zur Uebernahme einer That an, die nach den Begriffen der Zeit von ihm gethan werden muss, die er aber nach seinem sittlichen Gefühl nicht zu thun vermag.

Die Tragödie spielt an der Grenze zwischen dem Mittelalter und der neuen Zeit, wo neue Gedankensphären entstehen und zum Theil schon zur Entwickelung kommen. Hamlet ist ein Product der geläuterten Ideen der neuen Zeit. Er ist deshalb kein Schwächling, und nichts weniger als furchtsam, denn er tritt keck und unerschrocken einem Geist aus dem Grabe in finsterer Mitternacht entgegen, vor dem selbst die nordischen Krieger erblassen. Aber er hat ein feiner gebildetes Wesen, höhere Kenntnisse als der gewöhnliche Schlag der Menschen seiner Zeit; er huldigt mehr der Herrschaft des Geistes als der der physischen Kraft. Nichts zeichnet ihn besser als der Gegensatz, in dem er zu dem edelmännischen Laertes steht. Hamlet ist auf der Wittenberger Hochschule gebildet, ohne Zweifel der geistig fortgeschrittensten des Jahrhunderts, Laertes hat sich seine Bildung aus Paris geholt, wo er allerdings in mittelalterlich cavaliermässigen Künsten und äusserem Prunk bessere Muster gefunden haben mag als Hamlet in dem unscheinbaren deutschen Wittenberg. Hamlet ist aber eine durchaus streng sittliche Natur, Laertes dagegen, wenn auch, nach den hochtrabenden Phrasen, die ihm zu Gebote stehen, ein Spiegel der Ritterlichkeit, im Grunde doch ein höchst unsittlicher Mensch, der der schlimmsten Streiche fähig ist.

Nach Goethe soll der Dichter im Hamlet sich die Aufgabe gestellt haben: „eine Seele zu zeichnen, auf die eine That gelegt sei, der sie sich nicht gewachsen fühlt.". Weit entfernt, dieser Anschauung direct zu widersprechen, finde ich sie nur viel zu allgemein ausgedrückt. Denn die Unfähigkeit zur That könnte so ja, und man würde zuerst darauf verfallen, in Furcht, Schwäche, Muthlosigkeit, in einem Mangel an Thatkraft u. m. dgl. bestehen, was doch Alles bei Hamlet nicht stattfindet. Nach der ganzen Anlage der Tragödie hat der Dichter eben nur den Conflict zwischen Pflicht und Neigung darstellen wollen, wie er ihn ja selbst durchzukämpfen genöthigt war. Sich ganz loswinden von den Begriffen der alten Zeit und der Ritterlichkeit kann Hamlet noch nicht, darum übernimmt er eifrig den

Auftrag vom Geiste und huldigt damit den Anschauungen der Vergangenheit, während das sittliche Princip, das er der Neuzeit verdankt, dagegen ankämpft.

Statt der vielen Erörterungen, zu denen der grosse Gedankenreichthum des Dramas Veranlassung giebt, will ich hier nur in der Kürze Einzelnes noch näher berühren. So kann die Frage aufgeworfen werden, warum sich denn Hamlet wahnsinnig stelle. Natürlich hat die zu Grunde gelegte Sage den Dichter veranlasst, seinen Helden den verstellten Wahnsinn annehmen zu lassen. Aber wie der ganze Hamlet eine andere Person darstellt als der ungeschlachte Amleth der Sage, so muss bei jenem auch der Grund zum Wahnsinn anderswo gesucht werden als bei diesem. Amleth will sich, wie König David bei den Philistern und Junius Brutus vor Tarquinius, vor Fengo sicher stellen; da Fengo seinen Vater öffentlich beim Gastmahl gemordet, so konnte Amleth wohl fürchten, dass er auch ihn aus dem Wege räumen würde, um ungestört im Besitz der Herrschaft zu bleiben. Claudius hatte aber die volle Ueberzeugung, dass kein Sterblicher von seinem Mord wisse, also auch Hamlet nicht. Hamlet konnte also schwerlich auf den Gedanken kommen, dass ihm von Claudius Gefahr drohe, denn Claudius hatte vor der Hand erreicht, was er wollte, und Hamlet liess ihn ja auch im Besitz der Herrschaft, da ihm das Königthum wenig am Herzen lag. Wenn Shakspeare auch die äussere Gestalt des Wahnsinns aus der Sage genommen, so hat er doch ein anderes Motiv zu Grunde gelegt und die Erscheinung desselben ganz anders durchgeführt. Nach meinem Dafürhalten ist nun der verstellte Wahnsinn im Drama zunächst auf einen übereilten und verkehrten Entschluss Hamlet's zurückzuführen, dieser aber der Wirkung der überwältigenden Eindrücke, die sein Gemüth bestürmten, zuzuschreiben. Diese mussten den Prinzen nach seinem aufgeregten, reizbaren Naturell in dem Grade erschüttern, dass ihm ein richtiges Beurtheilen der Verhältnisse, der Mittel und Wege, die er gegen den Mörder zu ergreifen hatte, unmöglich wurde. In diesem, an völlige Zerrüttung grenzenden Zustand fasst er denn einen Entschluss, der ihn eher von seinem Ziele ab, als auf dasselbe zu führen musste.

Dies also die Begründung von Hamlet's Verstellung. Was aber der Dichter damit bezweckte, ist deutlich genug. Einmal fand er bei diesem Zustande des Helden Gelegenheit, ihn so viel witzige, beissende Reden hinwerfen zu lassen, um das Laster und die Unsitte der Zeit zu geisseln und dem schuldigen Verbrecher in verblümter Weise seine Missethat vorzuhalten, als es nur in des Dichters Plan liegen konnte, der ja auch ein gedrücktes

Herz hatte und die Zeit gar mancher Härte und Unbill zeihen konnte. Ein Zweites, was zwar weiter unten noch zur Sprache kommen wird, ist, dass der Dichter an Hamlet zeigen wollte, wie die Verstellung und die Lüge depravirend auf den Charakter wirkt.

Hamlet beginnt nun sofort sein Spiel des verstellten Wahnsinns. Auch hier findet sich ein dienstwilliger Höfling, Polonius, wie in der Sage. An diesen wendet sich Hamlet ganz insbesondere mit seinen beissenden Reden. Ihm, dem offenen, geraden Jüngling, ist das gleissnerische Wesen des Hofmanns verhasst; Polonius ist aber zugleich ein alter Schwätzer, der in seiner hohen Stellung zwar manche Beobachtung gemacht, die Menschen, ihre Blossen und Fehler gründlich hat kennen lernen, jetzt aber von all seinen Erfahrungen bei abnehmender Geisteskraft nur noch phrasenartige Reminiscenzen behalten hat, mit denen er bei Gelegenheiten sich zu schmücken versucht, aber bei Verständigen völliges Fiasco damit macht. Solche Menschen, wie Polonius, die durch ihr glattes, sich Allem anschmiegendes Wesen zu hohen Ehren und Glücksgütern gelangen, sind dem Dichter nun gerade verhasst; er klagt selbst über sie in seinen Sonetten, z. B. im 61:

Den Tod mir wünsch' ich, wenn ich ansehn muss
Wie das Verdienst zum Bettler wird geboren

Und hohles Nichts zu Glück und Ueberfluss,

Und wie der treuste Glaube wird verschworen,

Und goldne Ehre schmückt manch schmachvoll Haupt,
Und jungfräuliche Tugend wird geschändet,
Und wahre Hoheit ihres Lohns beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,
Und Kunst im Zungenbande rober Macht,

Und Wissenschaft durch Schulunsinn entgeistert,
Und schlichte Wahrheit als Einfalt verlacht,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert

--

Müd' alles dessen möcht' ich sterben bliebe
Durch meinen Tod nicht einsam meine Liebe.

Mit der Tochter dieses Polonius, der Ophelia, hatte Hamlet, ehe die herben Schicksalsschläge auf ihn einstürmten, ein Liebesverhältniss angeknüpft, das er aber zur Zeit der Handlung unserer Tragödie schon wieder aufgegeben hat. Polonius bietet Alles auf, eine Heirath zwischen Hamlet und seiner Tochter zu Stande zu bringen; jedoch, wie er, nach seinem eigenen Geständniss, am liebsten krumme Wege wählt, um zu seinem Ziele zu gelangen, so giebt er sich auch hier vor dem Könige das Ansehen, als suche er die Sache zu hintertreiben, da seine Tochter dem Prinzen nicht ebenbürtig sei, verbietet der Ophelia den Verkehr mit Hamlet und behauptet dann fest,

dieser sei wegen verschmähter Liebe verrückt geworden. Es war dies zwar schlau berechnet, führte aber diesmal doch nicht zum Ziele, denn der König, wiewohl ein sinnlicher Wüstling, war doch ein scharfblickender und ruhig besonnener Mann, der sich durch den Schein nicht leicht täuschen liess.

Hamlet treibt sein Spiel mit der grössten Consequenz weiter, mit dem Einen so, mit dem Anderen wieder anders, wie ihm die Personen gerade dazu angethan scheinen. Während er Polonius wie einen Narren behandelt, kommt er den Höflingen Rosenkrantz und Guildenstern höflichst entgegen, da sie in der Jugend seine Schul- und Spielkameraden gewesen. So wie er aber merkt, dass sie vom Könige dazu bestellt sind, ihn auszuforschen, wird er argwöhnisch und giebt ihnen zu verstehen, wie weit er ihnen überlegen sei. Auch gesteht er ihnen, dass er seit einiger Zeit alle seine Heiterkeit verloren habe und an dieser herrlichen Welt, die mit so viel Schönheit ausgestattet sei, keinen Gefallen mehr finde. Die Beschreibung der Schönheiten der Erde, und des Menschen, an welchem Allem er die Lust verloren habe, ist besonders schön. Hamlet's hierin ausgesprochene Stimmung ist aber ganz die Stimmung des Dichters.

Die beiden Edelleute haben Schauspieler an den Hof ge. bracht, um Hamlet eine Gelegenheit zur Zerstreuung zu bieten; dieser, ein Kenner der dramatischen Kunst, ergeht sich mit dem grössten Interesse in Gesprächen über das Schauspielwesen und die gerade stattfindenden Theaterverhältnisse. Diese ganze Angelegenheit hat gar Nichts weiter mit der Handlung des Stücks zu thun: denn der König hätte auch ohne diese Erörterungen durch das Schauspiel auf die Probe gestellt werden können; offenbar hat der Dichter sie ihrer selbst, und nicht des Stückes wegen angebracht, hat aber auch das Schönste und Beste, was je über diesen Gegenstand gesagt worden ist, darin niedergelegt.

Seit der Erscheinung des Geistes sind nun schon ein paar Monate verflossen und noch ist Hamlet seinem Auftrage nicht nachgekommen, hat sein Gelübde noch nicht erfüllt. Manche Erklärer beschuldigen ihn deshalb der Schwäche oder Feigheit, werfen ihm vor, er wage nicht, den verbrecherischen König

sofort niederzumachen. Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass dies überhaupt nicht anging, wenn man aus der Hamletsage eine Tragödie machen wollte, auch wenn sich der Dichter durchaus nicht ängstlich an die Sage halten wollte. Wenngleich der Amleth der Sage seine Rache ebenfalls ein ganzes Jahr aufschiebt, so wird dies doch keinem Leser besonders auffallen. Shakspeare hat bei seinem Hamlet noch ein neues Moment einge

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